Nicht jetzt, nicht heute, nicht hier!“ rufen helle Stimmen.
Wellen schäumen. Weiße Gischt bricht sich wieder und wieder. Das Brechen der flüssigen Oberfläche schreit in meinen Ohren. Chaos um mich, Chaos in mir. Panik.
Und dann Stille – nichts, Ruhe, Leere, ewige Weite.
Zu Beginn des Tages war das Wasser ruhig gewesen. Es lächelte uns an, mit seiner silbrigen, fast bläulich schimmernden, sich stets bewegenden Oberfläche. Ein Tanz der Reflektionen, ein vielstimmiger Dialog der Wellen, mit sich und jeder anderen Welle in dieser Weite. Hie und da schwappte das Dunkle mit, brach sich das Licht in dieser Seite des dunklen Diamant. Eine Ahnung jener Tiefe, die das Wasser an dieser Stelle hatte.
Nichts verwies auf das kommende Ereignis. Nichts verlief anders als immer.
Und doch, weniger als 24 Stunden später sollte mein Leben nie mehr so sein wie früher. Alles sollte sich verändern. Ein neuer Weg sollte sich aufmachen, eine neue Ebene sich erschließen.
Nach einem unterhaltsamen Tag am Strand, Gegrilltem und Bier, beschloss unsere Gruppe noch einmal auf den See hinaus zu schwimmen. Mittlerweile war es dunkel geworden. Das Schauspiel des steten Hebens und Senkens der Wellen war zu einem Hörspiel geworden. Von Dunkelheit umschlossen war nur das Rauschen zu vernehmen. Ein Rauschen, das an Intensität rapide zunahm, denn ein Sturm, ein Gewitter breitete sich von der anderen Seite des Sees aus, genau auf uns zu. Doch wir waren jung, übermütig, wollten der Strandwacht nicht zuhören, die uns davor warnten die Wellen und besonders den Unterwasserstrom nicht zu unterschätzen.
Doch wir – eine Gruppe von gut einem Dutzend lauter übermütiger Studenten – stiegen in das Wasser. Ich stieg in das Wasser. Gut 50 Meter hinaus wurde geschwommen, der Strand war nicht mehr sichtbar. Das Heben und Senken der Wellen wirkte nun wie ein riesiger Schalldämpfer für die Geräusche der am Strand Verbliebenen.
Der Sturm hatte uns fast erreicht. Die Wellen bereits zwei Meter hoch. Wind setzte ein. Die Orientierung fiel immer schwieriger. Schnell verlor die Szenerie an Spaß für mich. Ich beschloss zurück zu schwimmen. Ich löste mich von der Gruppe. Ich begann in die vermeintliche Richtung des Strandes zu schwimmen. Mehrere Minuten mühte ich mich gegen die Wellenberge. Doch mit jedem Armschlag schien der Schalldämpfer an Kraft zu gewinnen, während ich rapide an Kraft verlor. Ich begann Wasser zu schlucken, immer tiefer blieb ich unter den Wellenbergen. Und trotz der tosenden Wassermassen rings um mich schien alles plötzlich leiser zu werden. Die Welt um mich schien sich zu verkleinern, wurde ganz leise, ruhig, wohlig.
Ich breitete meine Arme aus und begann mich in diese Wohligkeit zu legen. Vergessen war mein Kampf mit den Wasserbergen. Hier war es gut, warm, und vor meinen Augen begann sich ein Licht zu zeigen, immer heller werdend, es steuerte direkt auf mich zu. Oder war es ich, der auf dieses Licht hinsteuerte? Das Licht war das Ziel, ein Tor, das es zu erreichen galt.
„Es ist nicht deine Zeit. Es ist nicht deine Zeit. Nicht jetzt, nicht heute, nicht hier!“
Jäh rissen mich diese hellen Stimmen aus meiner Wohligkeit. Jäh fand ich mich wieder in der kalten, nassen, über mich schwappenden Dunkelheit wider, die mich weiter und weiter in ihren Bann sog.
Plötzlich sah ich den Ursprung dieser Stimmen. Ich blickte direkt in ihr Antlitz. Zwei weiße Gestalten schienen über den Gischtbögen der Wellen zu schweben. In all der Dunkelheit, in all der Panik umgab sie eine Energie der Ruhe, der Fürsorge, aber auch der Bestimmtheit. Sie wiesen in die Richtung des Strandes, des festen Bodens, ihre hellen Arme waren wie ein Kompass des Lichts zurück in meine Welt.
Ich hatte mich bereits als Kind des Lichttores geahnt, das ich noch vor wenigen Momenten als Ziel für mein Leben erkannt hatte. Nun aber galt es das Ziel des Strandes zu erreichen. Zurück in mein irdisches Leben.
Ich stieg mehr als 200 Meter entfernt von jener Stelle aus dem Wasser, an der meine nächtliche Lichtreise begonnen hatte. Der Sog hatte mich abgetrieben, das Licht der Gestalten hatte mich hierher geführt.
Das Licht hatte mir eine zweite Chance gegeben.
Das Licht hatte mich in dieses Leben zurück gestellt.
Das Licht hatte mir eine Aufgabe und Mission offenbart, anderen Menschen von meiner Begegnung, meiner Lebenswendung zu berichten.
Diese Lichtgestalten, diese Engel hatten mich in ihrer liebenden Fürsorge umhüllt und mir eine neue Richtung verliehen.
Von nun an waren sie meine steten Begleiter – die Engel auf der weißen Welle.